Geistliche Hungersnot in schwerer Zeit (2/2)

Gemeinde oder Distanzgemeinschaft?

Fortsetzung und Abschluß des 1. Teils (HIER)

© Friedemann Wunderlich

Friedemann Wunderlich (MSOE)

„Distanzgemeinschaft“

Wir sind eine Generation von Christen, die sich – bedingt durch die enormen technischen Möglichkeiten – über die Anweisungen Gottes hinwegsetzt bzw. einen neuen Weg der Gemeinschaft sucht. „Distanzgemeinschaft“ ist ein neues Wort im Wörterbuch der Gemeinden. Unsere Argumente für solche neuen Formen sind beim näheren Hinschauen dürftig. Wir behaupten sehr selbstbewusst, dass Gott das Internet sehr gut gebrauchen kann. Wir haben die Weitergabe und das Hören auf das Wort Gottes zu einer technischen Frage gemacht.
Wir bewegen uns – so ist meine Einschätzung – mit unseren Argumenten auf dünnem Eis. Ich bin mir nicht sicher, ob die Wirkung der Botschaft durch das Medium Internet fruchtbar ist.
Das Medium selbst vermittelt eine Botschaft. Keine Frage: Es gibt im Internet viele gute Botschaften, die wir anhören können, aber ohne Zweifel gibt es ein Vielfaches an schlechten und falschen Inhalten, die im Namen Gottes weitergegeben werden. Und oft genug ersetzen Christen das Wort durch das Bild und den Inhalt durch die Darstellung. Und letztlich entzieht sich alles im Internet der Autorität der örtlichen Gemeinden.

Geistliche Hungersnot

Das Wort im Propheten Amos (Amos 8,11-12) macht mich sehr nachdenklich und selbstkritisch. Wir schlittern hinein in eine geistliche Hungersnot. Niemals wurde so viel geredet – aber wir empfangen so wenig Gottes Wort. Wir leben in einer Zeit, in der jeder redet, ganz egal, ob er etwas zu sagen hat oder nicht. Ein geistlicher Lehrer sprach kürzlich von dem „allgemeinen Rednertum“, unter dem viele Hörer in den Gemeinden leiden.

Kann es sein, dass wir dieses Gericht Gottes, wie er es durch Amos verkündigen ließ, heute unter uns erleben? Überall in der Welt ist der Besuch in den örtlichen Gemeinden zurückgegangen. An vielen Orten sind Gottesdienste und Programme für die Kinder ganz eingestellt worden. Die Nebenwirkungen dieses Lockdowns in den Gemeinden sind noch nicht zu überblicken.
Wenn Gott so gnädig ist und uns Orte seiner Gegenwart anbietet, dann tragen wir für unser Verhalten die Verantwortung.
In den vergangenen Monaten haben wir erlebt, dass wir auf vieles in unseren Gemeindeprogrammen verzichten können, aber auf das Empfangen des Wortes Gottes können wir nicht verzichten, ohne bleibenden Schaden zu nehmen. Immer wieder hat Amos das Volk Gottes dazu aufgerufen, auf Gott, den HERRN, zu hören. Gott hat zuletzt geredet in Jesus Christus (Hebräer 1,1-3).

Sucht den HERRN und lebt!“ (Amos 5,6)
Wir müssen den HERRN suchen und können ihn nur da finden, wo er zu finden ist:
In der Gemeinschaft seiner Heiligen unter seinem Wort. In der Zusammenkunft seiner Gemeinde und im Abendmahl teilt er sein Wort aus. Ob der HERR das auch auf andere Weise tut, wissen wir nicht.

Kehrt um zu dem HERRN

Amos warnt das Volk Gottes vor der Sorglosigkeit im leichtfertigen Umgang mit dem Wort Gottes. Er wendet sich gegen die Stolzen, die sich über andere Menschen erheben und ihre eigene Sündhaftigkeit in der Begegnung mit Gott, dem HERRN, nicht erkennen.
Und Amos spricht gegen das falsche Sicherheitsgefühl, dass sich im Vertrauen auf die Welt und die Menschen äußert, anstatt alles Vertrauen auf die Verheißungen des HERRN und seines Wortes zu setzen.
Wie leicht stehen wir alle in der Gefahr, dass wir selbstgefällig denken und sagen: „Wir sind reich und brauchen nichts!“ (Offenbarung 3,17).
Gottes Wort will uns aufwecken aus unserem selbstgefälligen Leben und unserer Ich-Bezogenheit. Wir leben riskant, wenn wir die Orte der Gemeinschaft, die der HERR uns schenkt, verlassen und uns eigene Orte schaffen. Was nützen uns alle unsere Programme, wenn der HERR nicht mehr gegenwärtig ist und uns sein Wort mitteilt?

Zurück zu diesem alten Neuen Testament meines Vaters. Die Blätter sehen aus, als ob die Mäuse daran gefressen haben. Aber es waren nicht Mäuse, sondern Hunderte von Gefangenen, die sich an das Wort Gottes geklammert haben. Ohne jeden äußeren Glanz und äußerlich schwach hat mein Vater sich mit diesem Testament, sooft es möglich war, vor die Mitgefangenen gestellt und Gottes Wort verkündigt. Und der HERR hat Menschen an diesem Ort gesättigt und ewigen Trost geschenkt, auch im Sterben.

Keiner weiß bis wann

Sie haben dein Heiligtum in Brand gesteckt, bis auf den Grund entweiht die Wohnung deines Namens. Sie haben alle Versammlungsstätten Gottes im Lande verbrannt. Kein Prophet ist mehr da, und keiner bei uns ist da, der weiß, bis wann.“ (aus Psalm 74,7-9)

Das Wort Gottes ist auch heute selten geworden. (1. Samuel 3,1). Zu viele Christen taumeln herum, suchen und werden enttäuscht, weil sie Gottes Wort nicht finden. Wenn uns Gottes Wort nicht mehr erfüllt, dann fehlt uns das Licht in der Dunkelheit, dann fehlt uns die Nahrung für unsere Seelen und der Schutz gegenüber allen Lügen in dieser Welt.
Wenn ich daran denke und unsere Zeit anschaue, dann ist mein Gebet:

Herr, erbarme dich unser! Herr, vergib uns unsere Lässigkeit und Beliebigkeit, wie wir dir begegnen.

Und im Blick auf die Situation aller Missionare in unseren Arbeitsfeldern: „Herr, schenke verlorenen Menschen in unserer Welt noch einmal eine Zeit der Gnade, dass wir alle dein Wort als lebendige Speise empfangen und nicht geistlich verhungern.“

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© Friedemann Wunderlich, Missionsleiter der Mission für Süd Ost Europa (MSOE)
erstmals veröffentlicht in  „Gottes Wort den Völkern“, März-April 2021


Siehe auch vom selben Author:

„Vorübergehend geschlossen“ – Das Schweigen der Christen

Über Jesaja 66:2

Kelompok Kristen Berbahasa Jerman di Indonesia dan di tempat-tempat yang lain
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