Was steht heute auf dem Spiel?
Helmut Mehringer
Wir leben in einer spannenden Zeit, sehen wir doch wohl eine immer rascher fortschreitende Scheidung durch unsere Gemeinden gehen. Und das ungeachtet dessen, wie die Gemeinderichtung heissen mag, von evangelikal-freikirchlich über Brüdergemeinen bis hin zu „Feld,-Wald-und-Wiesen-Gemeinden“ ohne Zuordnung zu einem offiziellen Gemeindelager.
Bei dieser Scheidung zu Beginn des 21. Jahrhunderts geht es nicht um Nebensächlichkeiten, nicht um Steckenpferde. Bei dieser Scheidung der Geister geht es ums Eingemachte, um die Grundlagen des Glaubens!
Das Wort Gottes und seine Stellung und Bedeutung, die Evangeliumsbotschaft, die Exklusivität Jesu als Heilsweg, die Gemeinde Jesu und was sie eigentlich ist, ihre Stellung gegenüber der Welt, ihr Auftrag in der Welt – missional-weltverbesserisch oder missionarisch, die Verkündigung des Evangeliums – kontextual verfälscht oder vollständig, klar und unzweideutig – und die Zukunftserwartung — das sind nur einige der Knackpunkte, um die es hier geht.
Diese geistliche Situation nahm das Rolf-Scheffbuch-Symbosium Anfang März 2013 zum Anlaß, mit einem einem deutlichen „Tübinger Aufruf“ auf die Gefahren der modernen, weltoffenen, populären und proaktiven Entwicklungen in den christlichen Gemeinden jeder Couleur hinzuweisen und den „ein für allemal den Heiligen überlieferten Glauben“ des Wortes Gottes in Kontrast zu stellen, nämlich den Glauben, für den durch die Jahrhunderte tausende treuer Gläubiger bereit waren, ihr Leben auf grausame Weise zu lassen.
„Deshalb nun, da wir eine so große Wolke von Zeugen um uns haben, lasst auch uns, indem wir jede Bürde und die leicht umstrickende Sünde ablegen, mit Ausharren laufen den vor uns liegenden Wettlauf, hinschauend auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der, die Schande nicht achtend, für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Denn betrachtet den, der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermüdet, indem ihr in euren Seelen ermattet.“ (Heb. 12:1-3)
Nachfolgend zitieren wir den erwähnte Aufruf zur eigenen Prüfung (Apg 17:10), da er trotz seiner landeskirchlich-pietistischen Grundlage viele ernstzunehmende Wahrheiten und Warnungen enthält:
- (Eine Kurzfassung von Prof. Beyerhaus gibt’s HIER als PDF )
- Eine vollständige Fassung gibt es HIER als PDF)
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„Tübinger Aufruf 2013 zur Erneuerung eines biblisch-heilsgeschichtlichen Missionsverständnisses
Einführung
Am 1. und 2. März 2013 fand in Gomaringen bei Tübingen unter dem Namen
R o l f S c h e f f b u c h – S y m p o s i o n
eine Arbeitstagung von Missionswissenschaftlern und anderen Missionsfreunden statt. Trägerin war die Internationale Konferenz Bekennender Gemeinschaften (International Christian Network) mit ihrem Institut Diakrisis. Die Zusammenkunft war dem Gedächtnis des am 10. November 2012 heimgerufenen Prälaten Rolf Scheffbuch gewidmet, eines bedeutenden Repräsentanten des Württembergischen Pietismus und Förderers der weltweiten Bewegung für Mission und Evangelisation.
Auf dieser Tagung wurde die folgende missionstheologische Erklärung verabschiedet.[1]
Sie steht in innerer Kontinuität zu der am 4. März 1970 vom Theologischen Konvent Bekennender Gemeinschaften verabschiedeten, weltweit bekannt gewordenen „Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission“ sowie der zweiten Frankfurter Erklärung „Weltmission nach San Antonio und Manila“ vom März 1990.
In ihrem „Tübinger Aufruf“ wenden sich die Unterzeichner an alle Christen, die aktiv am Dienst der Mission und Evangelisation beteiligt sind: an Missions- und Kirchenleitungen, Missionare und Evangelisten, Missionsdozenten sowie Studierende, die sich auf ihre Aussendung vorbereiten. Darüber hinaus gilt dieser Aufruf auch den ungezählten Unterstützern und Betern in den Gemeinden, die das Werk der Mission auf ihren Herzen tragen.
1. Anlass
Wir begrüßen das verstärkte Suchen der weltweiten evangelikalen Bewegung nach missionarischen Wegen für unsere Zeit. Wir beobachten das u. a. an dem fruchtbaren Verlauf der drei Lausanner Kongresse für Weltevangelisation in den Jahren 1974, 1989 und zuletzt 2010 in Kapstadt. Bei diesem erfreuten die Berichte und persönlichen Zeugnissen von Vertretern besonders der jüngeren Generation aus allen Ländern der Erdteile Asien, Afrika und Lateinamerika.
Jedoch bereitet es uns Sorge, dass die evangelikale Missionstheologie beginnt, ihre traditionelle biblisch-heilsgeschichtliche Begründung zu vernachlässigen. Stattdessen nähert sie sich Schritt für Schritt dem geschichtstheologischen Missionsverständnis des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) an, wie es unter dem Einfluss säkular-ökumenischer Theologen seit Uppsala 1968 und auch später all seinen Konferenzen und Verlautbarungen zugrunde lag.[2] Hier werden Heilsgeschichte und Weltgeschichte miteinander verschmolzen auf dem Weg zur gewollten Aufrichtung des Reiches Gottes schon auf dieser Erde.
Nachdem der ÖRK in den letzten beiden Jahrzehnten sich in seinem Sprachstil dem biblischen Denken der Evangelikalen angenähert hat, folgen zunehmend auch Teile der evangelikalen Bewegung diesem neuen Trend, sowohl weltweit als auch im deutschsprachigen Raum.
Das zeigen drei Beispiele aus jüngster Zeit:
Erstens die von Vertretern des ÖRK und der weltweiten Evangelischen Allianz[3] gemeinsam abgegebene Erklärung „100 Jahre Edinburgh“;
zweitens das Vorbereitungsdokument „Gemeinsam für das Leben: Mission und Evangelisation in sich wandelnden Kontexten“, ausgearbeitet von Evangelikalen und Vertretern des ÖRK im Blick auf die 10. Vollversammlung des ÖRK im Herbst 2013 im südkoreanischen Busan[4];
drittens die Verleihung des nach dem prominenten evangelikalen Missiologen George W. Peters (1907-87) benannten Preises im Januar 2010 an Roland Hardmeier, einem der Vordenker in der zeitgenössischen Transformations-Theologie.
Anfang Januar 2013 fand in Herrenberg bei Tübingen ein wichtiges Gesprächs- und Diskussionsforum zum Thema „Evangelisation und Transformation“[5] statt. Es wurde vom Arbeitskreis für evangelikale Missiologie (AfeM) gemeinsam mit der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) und der Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Missionen (AEM) durchgeführt. Allerdings kam es bei diesem zu keiner theologischen Klärung des behandelten Problems. Es blieb bei einem ersten Versuch brüderlichen Verstehens zwischen den Vertretern der beiden auch weiterhin einander gegenüberstehenden Positionen.
Auch aus diesem Grunde wurde zwei Monate später von der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften das schon zuvor geplante Rolf Scheffbuch-Symposion veranstaltet, um hier einen wesentlichen Schritt voranzukommen.
2. „Transformation“ als neue Thematik evangelikaler Missionstheologie
Seit der III. Vollversammlung in Neu-Delhi 1961 hatte sich in der Genfer Ökumene unter dem Einfluss von säkularökumenischen und politischen Theologen wie Johannes Chr. Hoekendijk, Harvey Cox, Jürgen Moltmann und Walter Hollenweger ein modernes Missionsverständnis entwickelt. Durch die Vermittlung der ursprünglich in Lateinamerika beheimateten „Radikalen Evangelikalen“ ist es nunmehr zunehmend auch auf evangelikaler Seite übernommen worden.[6]
Wichtig dabei ist es auch, die Ursprünge und die neuere Entwicklung der Transformationsidee in der weltweiten evangelikalen Bewegung zur Kenntnis zu nehmen. Das theologische Problemfeld der zeitgenössischen evangelikalen Bewegung liegt nicht mehr in dem viel behandelten Verhältnis zwischen „Wortverkündigung und Diakonie“ bzw. dem zwischen „Evangelisation und sozialer Verantwortung[7]“, wie es noch auf der gemeinsamen Studientagung der theologischen Kommissionen der Lausanner Bewegung und der Weltweiten Evangelikalen Allianz (WEF) in Grand Rapids 1982 [8] geheißen hatte. Vielmehr geht es in der jetzigen Diskussion zunehmend um das Spannungsfeld zwischen Gesellschaftsveränderung und neuer Schöpfung als Ausdruck des Reiches Gottes und als angebliches Ziel der Mission.
Dieses Missionsverständnis wird gekennzeichnet mit Begriffen wie „ganzheitlich“, „holistisch“, „inkarnatorisch“. Auch viele Missionstheoretiker betreiben das bisherige Fach „Missionstheologie“ jetzt unter der Bezeichnung „Missionale Theologie“. Damit ist eine Schau verbunden, in der alle Wirkungsbereiche der Kirche – einschließlich ihrer sozialen und politischen Mitverantwortung und des Dialogs mit den anderen Religionen – bestimmt sind von ihrer umfassenden Sendung in die Welt, unter dem Verheißungsziel: das Reich Gottes. [den gesamten Aufruf weiterlesen HIER!]
[1] An diesem Dokument wurde unter Mitwirkung anderer Sachkenner auch nach Abschluss des Symposions weiter gearbeitet. Dadurch konnte die Erklärung in ihrer hier vorliegenden Endfassung erheblich erweitert und vertieft werden.
[2] Vgl. hierzu die ökumenegeschichtlichen Untersuchungen von Peter P. J. Beyerhaus in den folgenden Büchern: Humanisierung – einzige Hoffnung der Welt? Bad Salzuflen, 2. Aufl. 1970 – Bangkok ’73- Anfang oder Ende der Weltmission? Verlag der Liebenzeller Mission, 2. Aufl. 1974 – Reich Gottes oder Weltgemeinschaft? (hg. zus. mit WalterKünneth; – Ökumene im Spiegel von Nairobi ’75, Bad Liebenzell 1976 hg. zus. mit Ulrich Betz; – Aufbruch der Armen. Die neue Missionsbewegung nach Melbourne, Bad Liebenzell 1981 – God’s Kingdom and the Utopian Error. Crossway Wheaton Ill. 1992. – Vgl. auch Klaus Bockmühl: Was heißt heute Mission? Entscheidungsfragen der neueren Missionstheologie. Brunnen Verlag Gießen/Basel 1974.
[3] Edinburgh 2010, Gemeinsamer Aufruf, in: www.edinburgh2010.org/en/resources/papersdocuments722e.pdf?no_cache=1&cid=33104&did=21566&sechash=dc509ada vom 19. Januar 2013.
[4] Together towards life: mission and evangelism in changing landscapes Proposal for a new WCC Affirmation on Mission and Evangelism Submitted by the Commission on World Mission and Evangelism (CWME), World Council of Churches, Genf: WCC, vom 5. September 2012, verabschiedet am 10. September 2012 in: www.oikoumene.org/en/resources/documents/wcc-commissions/mission-and-evangelism/together-towards-life-mission-and-evangelism-in-changing-landscapes.html.
[5] Einladung zur AfeM-Jahrestagung 2013, in: Evangelikale Missiologie 4/2012, S. 224 und Idea-Spektrum, Nr. 1/2 9. Januar 2013, S. 8.
[6] Roland Hardmeier: Das ganze Evangelium für eine heilsbedürftige Welt: Zur Missionstheologie der Radikalen Evangelikalen. Unveröffentlichte Dissertation, betreut von Johannes Reimer an der Universität von Südafrika 2008.
[7] Thomas Schirrmacher: AfeM-Jahrestagung in Herrenberg vom 6. Januar 2013 in:
www.idea.de/detail/thema-des-tages/artikel/evangelisieren-und-sozial-engagieren.html
[8] In Grand Rapids fand vom 20. bis 26 Juni 1982 eine missionstheologische Tagung statt, die gemeinsam von dem Lausanner Komitee für Weltevangelisation und der Weltweiten Evangelikalen Allianz getragen wurde. Sie verabschiedete eine Erklärung „Verkündigung und soziale Verantwortung. Eine evangelische Verpflichtung“. Der deutsche Bericht wurde herausgegeben von Klaus Bockmühl, Gießen/Basel 1983. Vgl. hierzu die Tübinger Dissertation von Erhard Berneburg: Das Verhältnis von Verkündigung und sozialer Aktion in der evangelikalen Missionstheorie. TVG Rolf Brockhaus Verlag Wuppertal 1997.
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(reblogged von: © Gemeindenetzwerk)
siehe auch bei: Distomos
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Kind of long but well wroth the time to read.
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